Zwangsfilter im Betriebssystem

Die Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer haben Mitte Dezember 2024 einen Entwurf zur Änderung u.a. des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags beschlossen, der unter anderem Zwangsfilter auf Betriebssystemebene bringen würde. Wer soll diese Gesetzgebung noch ernst nehmen?

Der Entwurf des 6. Medienänderungsstaatsvertrags, den die Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer am 12. Dezember 2024 beschlossen haben, zeigt deutlich die Gefahren einer nicht nur fernab jeder Realität agierenden, sondern auch handwerklich überaus misslungenen Gesetzgebung, die im Bereich der Medienregulierung in Deutschland seit längerer Zeit zu beobachten ist. Teil des Entwurfs ist die Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV), die mit einer ganzen Reihe rechtlich fragwürdiger Ideen und Regelungen aufwartet.

Ein Highlight ist vermutlich die im neu formulierten § 12 JMStV vorgesehene Anforderung an die Anbieter von Betriebssystemen, eine Jugendschutzvorrichtung vorzusehen. Wenn diese aktiviert ist, darf das Betriebssystem etwa die Nutzung von Internet-Browsern nur noch erlauben, wenn diese „Online-Suchmaschinen ansteuern, die über eine gesicherte Suchfunktion verfügen“ (§ 12 Abs. 3 JMStV-E). Die Länder hatten so etwas 2020 schon einmal versucht, waren damals aber gescheitert. Kernstück der jetzigen Neuregelung zu Jugendschutzvorrichtungen ist § 12 Abs. 1 JMStV-E, der nicht nur sprachlich holprig formuliert ist:

Anbieter von Betriebssystemen, die von Kindern und Jugendlichen üblicherweise genutzt werden im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, stellen sicher, dass ihre Betriebssysteme über eine den nachfolgenden Absätzen entsprechende Jugendschutzvorrichtung verfügen. Passt ein Dritter die vom Anbieter des Betriebssystems bereitgestellte Jugendschutzvorrichtung an, besteht die Pflicht aus Satz 1 insoweit bei diesem Dritten.

Der Verweis auf § 16 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 JMStV meint dabei, dass die Kommission für Jugendmedienschutz festlegen soll, welche Betriebssysteme von Kindern und Jugendlichen üblicherweise genutzt werden; es handelt sich also um eine abstrakte Festlegung, die unabhängig von der konkreten Nutzung erfolgt. § 12 Abs. 1 S. 2 JMStV-E, der die Anpassung von Betriebssystemen durch Dritte regelt, betrifft nach der Begründung des finalen Entwurfs:

Open Source-Systeme, die nach ihrer Bereitstellung angepasst werden können, ohne dass der Anbieter des Betriebssystems hierauf noch Einfluss hat.

Das ist eine überaus interessante Begründung: Wenn ich als Privatperson ein Open-Source-Betriebssystem aus dem Internet herunterlade, das über keine Jugendschutzvorrichtung verfügt, unterliege ich den aus § 12 Abs. 1 JMStV-E folgenden Pflichten offenbar nicht. Lade ich dagegen als Privatperson ein Open-Source-Betriebssystem herunter, das eine solche Jugendschutzvorrichtung hat, darf ich sie nicht deinstallieren, und zwar auch dann nicht, wenn etwa in meinem Haushalt gar keine Kinder und Jugendliche leben, oder wenn ich gar die einzige Person bin, die das installierte Betriebssystem jemals benutzen wird? Mal ehrlich, wer denkt sich denn solche Regelungen aus?

Es ist vor dem Hintergrund schon fast ein Euphemismus, wenn in einer Stellungnahme zum Entwurf unter anderem auf „erhebliche Zweifel an der praktischen Umsetzbarkeit“ dieser Regelung hingewiesen wurde, die „nur scheinbar ein Mehr an Sicherheit“ bringe, und es ist ohne Weiteres nachvollziehbar, wenn in einer weiteren Stellungnahme die „Vorhersehbarkeit von Verpflichtungen und die Rechtssicherheit“ angemahnt wurden. Thomas Hoeren hatte schon 2010 zu einer damals beabsichtigten (und dann ebenfalls gescheiterten) Überarbeitung des JMStV konstatiert:

Was man in letzter Zeit als Gesetzgebungsentwürfe liest, schlägt einem auf den Magen. Sei es die Reform des Arbeitnehmerdatenschutzes oder das Buttongesetz gegen Internetabzocke - man wird den Verdacht nicht los, daß hier „Legastheniker“ am Werke waren, die erst nach mehrfachen Anläufen ihr Jurastudium an irgendeiner C-Universität zu Ende gebracht haben.
Doch alles bisherige wird überboten durch den Jugendmedienstaatsvertrag, der Anfang 2011 in Kraft treten soll.

Diese Aussage ist erstaunlich gut gealtert.

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