Die aufmerksame Lektüre des Barrierefreiheitsgesetzes (BFSG) offenbart, dass Software dort erstaunlich selten erwähnt wird: Lediglich Betriebssysteme für Verbrauchercomputer, Software für Zahlungsterminals, mobile Anwendungen und Software für E-Books werden genannt, während das BFSG doch weit überwiegend für IT-Produkte und IT-Dienste gilt, so dass es auf den ersten Blick überraschend ist, dass Software nicht häufiger auftaucht.
Was ist etwa mit Selbstbedienungsterminals, Verbraucherendgeräten, Telekommunikationsdiensten, Webseiten, Bankdienstleistungen und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, bei denen es fast immer auch Softwarekomponenten geben wird?
Einmal unabhängig von der Frage, welche Folgen die ausdrückliche Nennung bestimmter Software (s.o.) im BFSG hat (dazu vielleicht ein anderes Mal in diesem Blog), dürfte das ansonsten festzustellende Schweigen des Gesetzes nur bedeuten, dass es jedenfalls nicht direkt für Software gilt, sondern dass stattdessen eine indirekte Geltung des Gesetzes in Frage kommt: Die im Gesetz genannten Produkte und Dienstleistungen müssen, wenn keine Ausnahmen greifen, barrierefrei sein. Wenn Produkte und Dienstleistungen Softwarekomponenten haben oder sie nutzen, und wenn die Barrierefreiheit der Softwarekomponenten eine Voraussetzung für die Barrierefreiheit der Produkte oder Dienstleistungen ist, dann folgt denklogisch, dass die Softwarekomponenten den Anforderungen des BFSG jedenfalls im Ergebnis entsprechen müssen.
In der Praxis wird eine solche indirekte Geltung des BFSG vor allem bei Softwarekomponenten relevant sein, mit denen Benutzeroberflächen implementiert werden, etwa ein Website-Frontend oder eine Bibliothek von UI-Komponenten, darüber hinaus vermutlich für Komponenten, die bestimmte technische Protokolle zum Erreichen von Barrierefreiheit unterstützen müssen.
Die indirekte Geltung des BFSG für solche Komponenten bedeutet, dass die Anbieter der Komponenten den aus dem BFSG folgenden Pflichten zwar nicht selbst unterliegen, die Anbieter der Produkte und Dienstleistungen, in denen die Komponenten verwendet werden, aber schon.
Anbieter eines Produkts oder einer Dienstleistung werden diesem Umstand Rechnung tragen müssen, indem sie mit den Anbietern der Softwarekomponenten im Idealfall vertraglich ausdrücklich vereinbaren, dass die Komponenten die Vorgaben des BFSG einzuhalten haben: Diese Vorgaben gelten dann auf vertraglicher Grundlage, und damit eben indirekt. Über die Verpflichtung zur Barrierefreiheit der Softwarekomponenten hinaus sollte vertraglich außerdem vereinbart werden, dass die Anbieter der Komponenten, sofern erforderlich, bei der Erfüllung der zahlreichen im BFSG vorgesehen weiteren Pflichten mitwirken, etwa in Hinblick auf Konformitätsbewertungs-, Informations- und Dokumentationspflichten.
Letztlich handelt es sich also um einen durchaus beabsichtigten Trickle-Down-Effekt entlang der Lieferkette. Für die Gestaltung entsprechender Vertragsklauseln gibt es verschiedene Ansätze; typischerweise wird man versuchen, die in der Regel schon existierenden Vertrags- oder Klauselwerke möglichst passgenau zu ergänzen, statt das Rad neu zu erfinden.