Als ich über die indirekte Geltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) für Software geschrieben habe, hatte ich offengelassen, ob es auch eine direkte Geltung für Software gibt, nämlich für die Arten von Software, die im BFSG ausdrücklich erwähnt werden. Es geht um Betriebssysteme für Verbrauchercomputer, Software für Zahlungsterminals, mobile Anwendungen und Software für E-Books, und darum, ob die Erwähnung dieser Arten von Software im BFSG bedeutet, dass es sich um „Produkte“ oder „Dienstleistungen“ handelt oder wenigstens handeln kann, so dass die Anbieter der Software die zahlreichen im BFSG vorgesehenen Pflichten selbst erfüllen müssen?
Das BFSG und die ihm zugrundeliegende EU-Richtlinie 2019/882 erwähnen Software mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln:
Sprachliche Varianz in Rechtsakten lässt einen Bedeutungsunterschied vermuten, weil eine solche Varianz ohne intendierten Bedeutungsunterschied schlechte Gesetzgebung darstellen würde. Demzufolge bilden in der Richtlinie Betriebssysteme und E-Book-Software (beide mit „und“ erwähnt) eine andere Kategorie als mobile Anwendungen im Bereich der Personenbeförderung („einschließlich“). Das BFSG scheint die Kategorien anders zu definieren, weil hier Software für Zahlungsterminals und E-Book-Software (beide mit „und“ erwähnt) den Betriebssystemen und den mobilen Anwendungen im Bereich der Personenbeförderung (beide mit „einschließlich“ erwähnt) gegenüberstehen.
Man wird vermutlich in der Tat zwischen zwei Kategorien von Software differenzieren müssen, und zwar deswegen, weil eine etwaige direkte Geltung des BFSG (die Richtlinie selbst wird nicht unmittelbar anwendbar sein) für Software nur dann relevant wäre, wenn sie sich an einen anderen Pflichtenadressaten richten könnte als bei einer indirekten Geltung des Gesetzes: Wenn eine Software ohnehin stets Bestandteil eines Produkts oder einer Dienstleistung ist, die von der Richtlinie oder vom BFSG erfasst werden, und jedenfalls von Verbrauchern nicht separat erworben werden kann, dann hätte eine direkte Geltung des BFSG für solche Software keinerlei praktische Auswirkungen und wäre irrelevant.
Ist eine Software dagegen zwar dazu geeignet oder bestimmt, mit vom BFSG oder von der Richtlinie erfassten Produkten oder Dienstleistungen verwendet zu werden, kann sie aber von Verbrauchern separat erworben werden, dann kann es verschiedene Pflichtenadressaten geben, nämlich den Anbieter des Produkts oder der Dienstleistung einerseits und den Anbieter der Software andererseits. Dieser Aspekt der (fehlenden) Personenidentität dürfte das maßgebliche Unterscheidungskriterium sein, das über eine direkte Geltung des BFSG für Software entscheidet. In diese Richtung deutet auch die Formulierung in § 2 Nr. 34 BFSG, in der der Begriff des „Betriebssystems“ definiert wird und wo ein Betriebssystem sowohl als „integraler Bestandteil der Hardware“ als auch als „externe Software zur Ausführung auf der Hardware“ beschrieben wird.
Die sprachliche Varianz der Richtlinie ist demnach korrekt, weil die dort verwendete Konjunktion „und“ die direkte Geltung indiziert, während die Verwendung von „einschließlich“ eine bloß deklarative Klarstellung andeutet. Die abweichende Terminologie des BFSG ist demgegenüber irreführend und im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung zu korrigieren.
Daraus folgt, dass das BFSG für Betriebssysteme und E-Book-Software direkt gilt. Das dürfte unabhängig davon gelten, ob ein bestimmtes Betriebssystem oder eine bestimmte E-Book-Software tatsächlich separat vertrieben wird. Software für Zahlungsterminals dagegen können Verbraucher nicht erwerben, so dass eine direkte Geltung nicht in Betracht kommt. Für mobile Anwendungen im Bereich der Personenbeförderung kann es ebenso keine direkte Geltung des BFSG geben, weil sie nur als „Element von Personenbeförderungsdiensten“ (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 BFSG, Art. 2 Abs. 2 Buchst. c RL) vom BFSG (und von der Richtlinie) erfasst werden und demnach stets vom Anbieter der Personenbeförderungsdienste angeboten werden müssen, um ein solches „Element“ zu bilden.