Zu viel Software im BFSG

6. November 2024
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz erwähnt mehr Arten von Software als die ihm zugrundeliegende EU-Richtlinie - warum ist das so, und hat das praktische Konsequenzen?

Vor einigen Wochen hatte ich mich schon mit der indirekten Geltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) für Software beschäftigt, und zwar deswegen, weil das BFSG nur wenige Arten von Software ausdrücklich erwähnt, nämlich Betriebssysteme für Verbrauchercomputer (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BFSG), Software für Zahlungsterminals (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BFSG), mobile Anwendungen (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a BFSG) und Software für E-Books (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 BFSG). Zwischenzeitlich hatte ich die Idee, doch mal in der dem BFSG zugrundeliegenden EU-Richtlinie 2019/882 („European Accessibility Act“) nachzuschauen, wie oft Software, und welche Software, dort erwähnt wird.

Die fehlende Zahlungsterminal-Software

Interessanterweise werden in der EU-Richtlinie 2019/882 nur drei der vier im BFSG erwähnten Arten von Software erwähnt, nicht aber auch Software für Zahlungsterminals. Sie kommt lediglich in Erwägungsgrund 26 der Richtlinie vor, wo es heißt:

Diese Richtlinie sollte auch Zahlungsterminals, einschließlich sowohl der zugehörigen Hardware als auch der Software sowie bestimmte interaktive Selbstbedienungsterminals einschließlich sowohl der zugehörigen Hardware als auch der Software erfassen, die zur Erbringung von unter diese Richtlinie fallenden Dienstleistungen eingesetzt werden sollen, wie zum Beispiel Geldautomaten, Ticketautomaten, die physische Tickets für den Zugang zu Dienstleistungen ausgeben (wie Fahrausweisautomaten und Wartenummern-Automaten in Banken), Check-in-Automaten und interaktive Selbstbedienungsterminals für Informationen, darunter auch interaktive Anzeigebildschirme.

Diese Erläuterung drückt das regulatorische Prinzip (und Ziel) der indirekten Geltung der Barrierefreiheitsanforderungen aus, über das ich bereits berichtet hatte:

Wenn Produkte und Dienstleistungen Softwarekomponenten haben oder sie nutzen, und wenn die Barrierefreiheit der Softwarekomponenten eine Voraussetzung für die Barrierefreiheit der Produkte oder Dienstleistungen ist, dann folgt denklogisch, dass die Softwarekomponenten den Anforderungen des BFSG jedenfalls im Ergebnis entsprechen müssen.

Es wird vermutlich für immer ein Geheimnis bleiben, warum der deutsche Gesetzgeber, offenbar inspiriert von Erwägungsgrund 26 der Richtlinie, ausgerechnet bei Zahlungsterminals (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a BFSG) Software erwähnt hat und warum diese Inspiration bei den Selbstbedienungsterminals (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b BFSG) nicht mehr zum Tragen kam.

Zulässige überschießende Umsetzung

Die Erwähnung von Software für Zahlungsterminals in § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a BFSG kann wohl als überschießende Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber verstanden werden. Mir ist nicht ganz klar, ob eine solche überschießende Umsetzung zulässig ist, weil die Richtlinie im Wesentlichen (eine Ausnahme ist die in Art. 4 Abs. 4 RL vorgesehene und vom deutschen Gesetzgeber nicht aufgegriffene optionale Verpflichtung zur Barrierefreiheit der baulichen Umwelt) eine Vollharmonisierung anstrebt.

Allerdings dürfte das Ziel der Vollharmonisierung den nationalen Gesetzgeber nur daran hindern, für die in der Richtlinie geregelten Produkte und Dienstleistungen weitergehende Barrierefreiheitsanforderungen aufzustellen (so auch Art. 6 RL), während es demgegenüber zulässig sein dürfte, die von der Richtlinie definierten Barrierefreiheitsanforderungen auf weitere Produkte und Dienstleistungen auszudehnen, wie hier eben Software für Zahlungsterminals.

Unklare praktische Folgen

Was folgt aber ganz allgemein daraus, dass bestimmte Software im BFSG (und/oder in der Richtlinie) erwähnt wird? Gelten die Barrierefreiheitsanforderungen für diese Software dann unmittelbar statt nur im Rahmen einer indirekten Geltung? Muss ich mal drüber nachdenken, mehr dazu demnächst.

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