Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gilt direkt für Betriebssysteme für „Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher“ (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BFSG), aber kommt es eigentlich darauf an, ob ein Betriebssystem gemeinsam mit einem Hardwaresystem vertrieben wird oder separat davon? Macht es einen Unterschied, wenn ein Unternehmen Open-Source-Betriebssysteme kostenlos bereitstellt? Und was gilt, wenn beim Erbringen einer Dienstleistung ein Betriebssystem eingesetzt wird?
Die Geltung des BFSG für Betriebssysteme ergibt sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 BFSG:
Dieses Gesetz gilt für folgende Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden:
1. Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher einschließlich der für diese Hardwaresysteme bestimmte Betriebssysteme;
Ein Betriebssystem ist gemäß § 2 Nr. 34 BFSG:
die Software, die unter anderem die Schnittstelle zur peripheren Hardware steuert, Aufgaben plant, Speicherplatz zuweist und dem Verbraucher eine Standardschnittstelle anzeigt, wenn kein Anwenderprogramm läuft, einschließlich einer grafischen Nutzerschnittstelle, unabhängig davon, ob diese Software integraler Bestandteil der Hardware für Universalrechner für Verbraucher ist oder als externe Software zur Ausführung auf der Hardware für Universalrechner für Verbraucher bestimmt ist; ausgeschlossen sind Lader eines Betriebssystems, ein BIOS oder eine andere Firmware, die beim Hochfahren oder beim Installieren des Betriebssystems erforderlich ist
.. und ein „Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher“ ist (§ 2 Nr. 35 BFSG):
die Kombination von Hardware,
a) die einen vollständigen Computer bildet und durch ihren Mehrzweckcharakter und ihre Fähigkeit gekennzeichnet ist, mit der geeigneten Software die vom Verbraucher geforderten üblichen Computeraufgaben durchzuführen, und
b) dazu bestimmt ist, von Verbrauchern bedient zu werden; einschließlich Personal Computer, insbesondere Desktops, Notebooks, Smartphones und Tablets
Betriebssysteme sind somit eigenständige Produkte, und zwar wohl auch dann, wenn sie nicht separat vertrieben werden, sondern als Bestandteil eines Hardwaresystems. Betriebssysteme müssen demnach, wenn keine Ausnahmen eingreifen, barrierefrei sein, was für alle „großen“ Betriebssysteme einschließlich der diversen Linux-Distributionen vermutlich eher unproblematisch sein dürfte.
Allerdings ergeben sich aus dem BFSG noch eine Reihe weiterer Pflichten, etwa Konformitätsbewertungspflichten (§§ 6, 9, 18 und 19 BFSG sowie Anlage II zum BFSG), Kennzeichnungspflichten (§ 7 Abs. 1 BFSG) und Informationspflichten (§ 7 Abs. 2, 3 BFSG), die nicht nur für Hersteller gelten, sondern auch für Importeure („Einführer“) und Händler (und ggf. Dienstleistungserbringer). Händler ist gemäß § 2 Nr. 14 BFSG:
jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft in der Lieferkette, die ein Produkt auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers oder des Einführers
.. und das Bereitstellen auf dem Markt ist (§ 2 Nr. 9 BFSG):
jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, zum Gebrauch oder zum Verbrauch auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit
.. und Dienstleistungserbringer ist (§ 2 Nr. 4 BFSG):
jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die auf dem Unionsmarkt eine Dienstleistung für Verbraucher erbringt oder anbietet, eine solche Dienstleistung zu erbringen
Die spannende Frage ist nun, wer eigentlich für die Einhaltung der aus dem BFSG folgenden Pflichten verantwortlich ist. Der Hersteller eines Betriebssystems ist offensichtlich in der Verantwortung, aber was gilt für die weiteren Akteure in der Lieferkette?
Ein Unternehmen, das Betriebssysteme für „Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher“ separat von Hardwaresystemen (auch) an Verbraucher vertreibt, ist sicherlich Händler im Sinne des BFSG und muss die weiteren Händler-Pflichten jenseits der Pflicht zur Barrierefreiheit erfüllen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um kommerziell angebotene Betriebssysteme handelt oder um Open-Source-Betriebssysteme, die kostenlos (z.B. zum Download) bereitgestellt werden.
Wenn ein Unternehmen Betriebssysteme für „Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher“ gemeinsam mit solchen Hardwaresystemen vertreibt (etwa durch Vorinstallation auf dem Hardwaresystem), dann ist das Betriebssystem aus technischer Sicht zwar Bestandteil des Hardwaresystems, aus Sicht des BFSG aber immer noch ein separates Produkt, das eigenständig Pflichten aus dem BFSG auslöst, so dass der Händler die Pflichten sowohl für das Hardwaresystem als auch für das Betriebssystem erfüllen muss. Insofern macht es keinen Unterschied, ob Hardwaresystem und Betriebssystem gemeinsam oder separat vertrieben werden, solange der Vertrieb nur durch dasselbe Unternehmen erfolgt.
Betriebssysteme von Produkten, die kein „Hardwaresystem für Universalrechner für Verbraucher“ im Sinne des BFSG darstellen, etwa von Selbstbedienungsterminals (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BFSG) oder E-Book-Lesegeräten (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 BFSG), sind dagegen keine „Betriebssysteme“ im Sinne des BFSG, so dass sie nicht direkt vom Gesetz erfasst werden. Stattdessen müssen sie (nur) im Rahmen der indirekten Geltung des BFSG barrierefrei sein, und knüpfen die weiteren im Gesetz geregelten Pflichten nicht an solche Betriebssysteme an. Ein separater Vertrieb solcher Betriebssysteme löst deshalb keine Pflichten aus dem BFSG aus.
Es ist zwar möglich, dass Produkte im Sinne des BFSG wie eben Betriebssysteme zur Erbringung einer vom BFSG erfassten (siehe § 1 Abs. 3 BFSG) Dienstleistung verwendet werden, dadurch werden die Produkte aber noch nicht „zum Gebrauch oder zum Verbrauch“ (siehe § 2 Nr. 9 BFSG) bereitgestellt: Es ist die Dienstleistung, die verwendet werden soll, nicht das Produkt. Das Produkt darf (im Rahmen der indirekten Geltung, siehe oben) lediglich nicht verhindern, dass die Dienstleistung barrierefrei erbracht werden kann, jedenfalls solange nicht die Übergangsregelung des § 38 Abs. 1 S. 1 BFSG einschlägig ist. Pflichtenadressat ist demnach nur der Erbringer der Dienstleistung.